Die Standarddokumente „Wandeldarlehen“ in der Praxis



Mehr als 20.000-mal wurde die Vorlage „Wandeldarlehen“ seit der Veröffentlichung durch das German Standards Setting Institute GESSI im Mai 2018 schon heruntergeladen. Man kann also davon ausgehen, dass das Vertragswerk in vielen Tausenden von Startup Finanzierungsrunden erfolgreich zum Einsatz gekommen ist und allen Beteiligten sehr viel Zeit, Nerven und Geld gespart hat!

Ich bin seit 2018 Mitglied der Arbeitsgruppe "Wandeldarlehen" des Angelverbands (BAND) und Startup-Verbands (Deutsche Startups) und stolz darauf, dass der Mustervertrag so eine große Verbreitung gefunden hat.

Das Wandeldarlehen ist die Alternative zu einem Beteiligungsvertrag, der notariell beurkundet werden muss und im Regelfall ein sehr umfangreiches Vertragswerk darstellt. Zudem ermöglicht es ein Wandeldarlehen, mühsame Verhandlungen über die Bewertung des Startups auf die nächste Finanzierungsrunde zu verschieben: Die Einigung auf einen Discount und ein sinnvolles Cap als „obere Grenze“ ist oft schneller zu erzielen als eine „faire“ Bewertung des Startups zum jetzigen Zeitpunkt.

Aus eigener Erfahrung als aktiver Angel Investor (mehr als 130 Erst- und Folge-Finanzierungsrunden) und als Partner eins VC-Funds kann ich berichten, dass sich der Mustervertrag am Markt mittlerweile als De-facto-Standard etabliert hat. In der Anfangszeit, also kurz nach Veröffentlichung der Mustertexte im Mai 2018, war oftmals noch etwas Überzeugungsarbeit zu leisten, da der Mustervertrag und das neugegründete GESSI noch unbekannt waren. Oftmals haben Investoren oder die Gründer darauf bestanden, dass „ihr“ Anwalt einen eigenen Vertragstext erstellt, verbunden mit einem entsprechenden Zeit- und Kostenaufwand.

Mit dem Mustervertrag und den dazugehörigen ausführlichen Verwendungshinweisen ist es gelungenen, einen guten Interessenausgleich zwischen Gründern und den Darlehensgebern (Investoren) zu finden. Der Mustervertrag ist dabei sehr eigenkapitalähnlich ausgestaltet (die Rückzahlung anstelle der Wandelung ist der absolute Ausnahmefall!), um von Anfang an einen Gleichlauf der Interessen zwischen Gründern und Investoren sicherzustellen, nämlich die gemeinsame Steigerung des langfristigen Unternehmenswertes.

Ob ein Wandeldarlehen der notariellen Beurkundung bedarf, ist rechtlich umstritten und höchstrichterlich noch nicht entschieden. Es gibt einzelne Stimmen, die den Vertrag ohne notarielle Beurkundung für nichtig halten. Aus meiner Erfahrung ist diese Diskussion rein akademisch. Praktisch alle Finanzierungsrunden mit Wandeldarlehen werden – zumindest im Frühphasen-Bereich – ohne eine notarielle Beurkundung, also rein privatschriftlich abgeschlossen, meist unter Anwendung einer elektronischen Unterzeichnung (z.B. mit DocuSign). Der Verzicht auf einen (gemeinsamen) Notartermin ist ja gerade einer der großen Vorteile eines Wandeldarlehen gegenüber einer klassischen Eigenkapitalfinanzierung.

Der Mustervertrag wird mittlerweile regelmäßig von Angel Investoren und auch institutionellen Investoren (VC-Funds, Family Offices, Unternehmen) für Finanzierungsrunden eingesetzt, insbesondere für kleinere Finanzierungsrunden in der Pre-Seed- und Seed-Phase des Startups und reduziert so den Zeitaufwand und die Kostenbelastung für die Finanzierungsrunde erheblich.

Dennoch macht der Mustervertrag eine Beratung durch einen Anwalt nicht überflüssig: Während (erfahrene) Investoren meist auf eine anwaltliche Beratung verzichten, so ist es für Startup-Gründer beim erstmaligen Einsatz des Mustervertrages durchaus ratsam, eine anwaltliche Beratung in Anspruch zu nehmen. Für Gründer und Gründerinnen ist es oftmals das erste Mal, dass sie mit Begriffen wie zwingende Wandlung, Rangrücktritt oder Exit-Prämie konfrontiert sind. Die umfangreichen Verwendungshinweise sollten hier aber bereits die wichtigsten Fragen im Vorfeld ausräumen können.

Nach meiner Einschätzung des Marktes (eine offizielle Statistik dazu gibt es nicht) lassen sich in Bezug auf den Einsatz von Wandeldarlehen und des Mustervertrags drei Fallgruppen unterscheiden:

  1. Finanzierungsrunden bis EUR 500.000: Hier erfolgen die Finanzierungen fast ausschließlich über Wandeldarlehen, da Finanzierungsvolumen und Kostenaufwand für eine Equity-Runde (meist mehrere Zehntausend Euro für Anwälte, Notar und Handelsregister) in keinem sinnvollen Verhältnis stehen. Der Mustervertrag wird im Regelfall unverändert übernommen, die verhandelten Commercial Terms wie Cap, Discount, Zinssatz, Laufzeit und Exit-Prämie also nur noch in den Text „eingesetzt“. Die Beteiligten verzichten meist auf eine anwaltliche Beratung und orientieren sich gemeinsam an den Verwendungshinweisen, welche Aussagen zu den marktüblichen Konditionen enthalten.
  2. Finanzierungsrunden zwischen EUR 500.000 und EUR 1 Million: Hier kommt ein Wandeldarlehen auch noch relativ häufig zum Einsatz, insbesondere dann, wenn an der Runde ausschließlich Angel Investoren beteiligt sind. Doch auch institutionelle Investoren akzeptieren mittlerweile immer öfter ein Wandeldarlehen. Der Mustervertrag wird gfs. um individuelle Regelungen ergänzt, z.B. umfangreichere Informations- und Auskunftsrechte. Der institutionelle Investor führt eine Due Diligence durch, die der einer Equity-Runde entspricht.
  3. Finanzierungsrunden ab EUR 1 Million: An diesen Finanzierungsrunden ist im Regelfall mindestens ein institutioneller Investor beteiligt. Dieser bringt als Lead Investor sein eigenes Vertragswerk (Beteiligungsvertrag) für eine Equity-Runde mit, da er von Anfang an eine volle Gesellschafterstellung mit allen damit verbundenen Mitgliedschaftsrechten wünscht. Finanzierungen über Wandeldarlehen sind in dieser Fallgruppe eher die Ausnahme.

Wandeldarlehen kommen also mittlerweile häufig zum Einsatz und haben sich für kleine und mittlere Pre-Seed-Runden als Standard etabliert und die klassische Equity-Runde mit Beteiligungsvertragswerk von Markt verdrängt.

Eine ähnliche Entwicklung lässt sich schon seit vielen Jahren im anglo-amerikanischen Umfeld beobachten und wie so oft ist das Silicon Valley dem deutschen und europäischen Ökosystem ein paar Jahre voraus: Bereits seit 2013 konnte der US-amerikanische Startup-Accelerator Y-Combinator mit dem sog. SAFE (Simple Agreement for Future Equity) einen vergleichbaren Standard für Convertible Notes erfolgreich am Markt etablieren.

Mit dem Mustervertrag Wandeldarlehen ist es dem GESSI gelungen, innerhalb kurzer Zeit einen Marktstandard zu etablieren, der von allen Beteiligten des Startup-Ökosystems als großer Fortschritt begrüßt wird. Der Einsatz des Mustervertrages spart Zeit, Geld und Energie auf allen Seiten und geht dabei in den üblichen Anwendungsfällen (Pre-Seed- und Seed-Runden) einen ausgewogenen Mittelweg zwischen den Interessen der Gründer und denen der Investoren.

Für Startup-Gründer vergehen damit nicht Wochen oder Monate, sondern oftmals nur noch wenige Tage von der mündlichen Einigung mit den Investoren bis zum Eingang der Gelder auf dem Firmenkonto. Startup-Gründer können sich damit schon nach kurzer Zeit wieder auf ihre wesentliche Aufgabe konzentrieren, nämlich den Aufbau des operativen Geschäfts!

May 13, 2021 by Florian Huber